Die Schneemänner – es geht weiter …

Für alle, die Kapitel 1 verpasst haben, hier der Link dorthin. Ansonsten: Habt viel Spaß mit der Fortsetzung :-)

„Die Schneemänner“ – Teil 10, Kapitel 2

Ich bin sofort wach, als ich Finchens Bewegungen neben mir spüre. Sie fuchtelt mit ihren Ärmchen in der Luft herum, strampelt, bewegt den Kopf und stößt ab und zu diese süßen Babylaute aus, in die ich so verliebt bin. Ich halte ihr meinen Zeigefinger hin und beobachte, wie sie für einen Moment in all ihren Bewegungen inne hält. Dann umklammert sie ihn mit den winzigen Händchen, guckt aufmerksam. Garantiert schielt sie dabei wieder ein bisschen. Als ich den Kopf hebe und ihren Blick suche, bilde ich mir ein, sie würde mich anlächeln.
»Guten Morgen, mein Schatz«, flüstere ich begeistert. »Lachst du mit mir? …« Ich kitzle ihren Mundwinkel und da ist es wieder. Eindeutig. Sie lächelt.
Paul behauptet, sie täte es noch nicht bewusst. Sehe ich anders. In fünf Tagen ist sie zwei Monate alt. Ich hab längst kapiert, dass alles, was mir meine Mutter über Babys erzählt hat, Ammenmärchen sind. Okay, nicht grundsätzlich. Aber irgendwie entwickeln sich nicht nur Teenager heute viel schneller als wir damals. Mit Babys muss das ähnlich sein.
Finchen ist ein kluges Kind. Sie reagiert auf das, was in ihrem Umfeld passiert. Sie dreht den Kopf nach uns, lauscht auf unsere Stimmen und sie lacht. Also, sie lacht, wenn wir lachen. Sie spiegelt uns. Das Köpfchen hält sie auch schon allein. Nicht mehr lange und sie fängt an, sich zu drehen. Sag mir noch mal einer, die ersten drei Monate wären die so genannte dumme Phase. Kann ich echt nicht bestätigen.

Ich umfasse das kleine Bündel im Schlafsack und ziehe es näher zu mir. Finchen wird unruhig. Sie weiß, was das bedeutet. Wie der Schnabel bei einem jungen Vogel öffnet sich ihr winziger Mund und beginnt, nach der Brust zu suchen. Gott, ist sie süß!
Hinter mir regt sich Paul. Noch während ich Finchen andocken lasse, schmiegt er sich an mich und umfasst uns beide. Seine Nähe tut gut. Ich mag es, seinen muskulösen Körper an meinem Rücken zu spüren. Als würde er mich beschützen wollen. Aber vor wem? Vor mir selbst vielleicht? … Na, das bringt mich glatt ins Grübeln. Schon wahr, dass ich in der Nähe meines Bad Boys entspannter bin und besser schlafen kann, als wenn ich allein im Bett läge. Er weiß das.
Der Einzige, der jetzt fehlt, ist Jacob. Na, wenigstens kriegt einer genug Schlaf. Er ist ja auch derjenige, der jeden Tag zur Arbeit muss.

Zehn Minuten hält es Paul noch im Bett. Die ganze Zeit über spüre ich nicht nur seine Bauchmuskeln, sondern auch seine Erektion. Kenne ich inzwischen von meinen Männern. Morgens könnte es im Grunde sofort zur Sache gehen. Früher war das auch so. Da haben wir einfach losgelegt, ob nun genug Zeit war oder nicht. Paul hat angeblichen Zeitmangel sowieso gern ausgenutzt. Um seine Dominanz zu demonstrieren. Wenn ich nicht schnell genug war, hatte ich eben Pech. Oder er hat mich einfach nur heiß gemacht und dann hängenlassen. Weil er sich super beherrschen kann. Obwohl, manchmal glaube ich, dass er hinterher beim Duschen noch Hand anlegte. Auch wenn er es regelmäßig abgestritten hat. Ich bin doch nicht blöd.
Na, egal. Jetzt jedenfalls müssen sie das regelmäßig tun, Hand anlegen, mein ich. Ich bin lustlos. So lustlos, wie man nur sein kann. Trotzdem rieselt mir ein sachter Schauer über den Rücken, als Paul mich heute so ausdauernd mit seiner Härte konfrontiert.

Eingedöst bin ich dann trotzdem. So viel also zur Erotik im Hause Friedländer, Scherzer und Bender. Ich bin zum Neutrum mutiert. Kein Wunder, dass sich meine beiden Liebhaber morgens regelmäßig aus dem Zimmer schleichen. Die Stille und Beschaulichkeit, mit der wir Mädels den Tag beginnen, sind zum Gähnen langweilig. Oft schlaf ich auch noch mal ein, wenn die Kleine trinkt.
Hört sich jetzt vielleicht super entspannt an. Aber am Anfang war das schwer zu ertragen. Ich hatte das ständige Gefühl, einen Rhythmus finden zu müssen. Man kann doch nicht stundenlang im Bett herumlungern, wenn jede Menge Dinge zu erledigen sind. Wenn draußen die Sonne scheint. Und wenn der normale Mensch, der ich vor nicht allzu langer Zeit mal war, längst seine Arbeit begonnen hat. Aber die Männer wollen, dass ich mich ausruhe. Sie meinen, ich soll den Ball flach halten. Sie bestehen darauf, dass ich mich nur um das Baby und mich selbst kümmere. Nicht mal an der Hausarbeit darf ich mich richtig beteiligen. Das müsste ich noch früh genug, sagt Paul immer. Er hat ja recht. Mir graut davor.
Wenn auch seine Vaterzeit vorüber ist, steh ich mit all den Dingen allein da. Waschen, putzen, Essen kochen. Und natürlich einkaufen. Im Moment fahren wir vormittags gemeinsam in den Supermarkt. Ich genieße es, neben ihm her zu schlendern und mich eigentlich nicht verantwortlich zu fühlen. Denn Paul kocht. Er entscheidet, was im Einkaufswagen landet. Wie ich das später allein auf die Reihe kriegen soll, ist mir noch ein einziges Rätsel. Aber andere Mütter schaffen das schließlich auch. Also tschakka, denke ich.

* * *

»Wir brauchen eine Haushaltshilfe«, meint Jacob beim Frühstück.
Und nein, ich hab vorhin nicht laut gedacht …
Wir sitzen zu dritt am großen Esstisch. Eine Armlänge entfernt von Butterdose und Honigglas thront Finchen in ihrer Babywippe und beobachtet, was um sie herum passiert. Sie hat die Poleposition inne. Wie jedes Wochenende. Und es scheint ihr ausgesprochen gut zu gefallen. Manchmal strampelt sie so heftig mit Armen und Beinen, dass man das Gefühl haben könnte, sie wolle sich in unser Gespräch einmischen. Aber vielleicht will sie auch nur ihre Wippe zum Schaukeln bringen. Wer weiß schon, was in so einem Winzling vorgeht. Dann wieder fixiert sie uns sekundenlang, um im nächsten Moment einen ganzen Schwall dieser undefinierbaren süßen Babylaute auszustoßen. Schon ’ne Marke, das Finchen. Wird bestimmt mal so ein Plappermaul wie ihre Mama.
»Wie stellst du dir das vor?«, frage ich kauend. »Fremde in unseren heiligen Hallen? Dann sind wir ja nie mehr allein.«
»Ach komm. Dass es auf Dauer ganz schön viel wird, zweihundert Quadratmeter allein in Schuss zu halten, wussten wir schon letztes Jahr«, wirft Paul ein.
Er hat recht. Sieben Zimmer und zwei Bäder, da kann man vorn wieder anfangen, wenn man hinten fertig ist.
»Und woher kriegen wir eine vertrauenswürdige Putzfrau? Ich kenne niemanden, den ich fragen könnte.«
Stimmt nicht ganz. Meine Mutter wiederholt in schöner Regelmäßigkeit ihr Angebot, mir ihre zu schicken. Aber um nichts in der Welt will ich Magda. Obwohl ich sie total nett finde. Und obwohl sie ihre Arbeit sicher gut macht – immerhin stellt sie meine Mutter zufrieden. Das will was heißen. Aber ich hätte ständig das Gefühl, sie schnüffele hier herum, um am Ende alles, was geschieht, brühwarm weiterzutragen. Der Supergau, kann ich nur sagen und denke daran, dass sich speziell meine Mutter immer noch nicht mit unserer Beziehungskonstellation abgefunden hat. Außerdem ist sie geschickt darin, andere auszufragen.
»Vielleicht sollten wir erst mal überlegen, wofür wir sie brauchen«, schlägt Jacob vor. Dann hebt er seine Tasse. »Noch jemand?«
Ich halte ihm meine hin. Doch Paul schüttelt den Kopf und zeigt auf die Teekanne, die schon bereit steht. Ich kriege also eine neue Tasse, und Jacob schenkt mir frisch gebrühten Kräutertee ein, während der Automat für ihn selbst einen herrlich duftenden doppelten Espresso zubereitet. Hab ich eigentlich schon gesagt, dass ich Stillen gerade hasse?
»Einkaufen und kochen muss sie nicht«, meint Paul. »Aber die Bäder und die Zimmer kann sie übernehmen. Meinetwegen auch die Wäsche.«
Ich widerspreche, weil ich glaube, dass Paul, wenn er wieder arbeitet, weder täglich zum Supermarkt noch zum Kochen kommt. Aber waschen wäre in jedem Fall gut. Wir haben uns gegen Pampers entschieden. Finchen trägt ganz altmodisch echte Windeln. Das heißt, allein davon fällt pro Tag ein ganzer Haufen an.
Ehe wir uns versehen, sind wir mitten drin in einer Grundsatzdiskussion.
Glücklicherweise macht sich bei unserer Prinzessin kurz darauf auch der Hunger bemerkbar. Irgendwie bin ich froh darüber und verziehe mich zum Stillen wieder ins Schlafzimmer.
Tja, das sind derzeit meine Wege. Vom Schlafzimmer ins Bad, vom Bad in die Küche und wieder zurück ins Schlafzimmer. Okay, irgendwann zwischendurch sitz ich auf unserer Terrasse. Und meistens kommt ein Spaziergang dazu. Die Männer wollen, dass Finchen und ich regelmäßig frische Luft tanken. Aber viel mehr ist nicht drin.
Wird sich hoffentlich bald ändern. Gefühlt tue ich in letzter Zeit wirklich nichts anderes, als das Baby zufrieden zu stellen. Ich hab schon vor der Geburt gelesen, dass die Kleinen mindestens achtmal am Tag trinken sollen. Meine Mutter hat zwar vehement dagegen plädiert, als ich mein neu erworbenes Wissen heraus posaunte. Aber ihre Schwangerschaft liegt erstens Ewigkeiten zurück. Und zweitens herrschten damals noch ganz andere Ansichten, was Kindererziehung betraf. Ich bin im Osten groß geworden. Muss ich nichts weiter erklären, oder?
Jedenfalls, nach meiner Rechnung ergeben acht Mahlzeiten einen Rhythmus von drei Stunden. Finchen hält leider nur zwei durch bis zur nächsten und diese Tatsache versetzt mich unweigerlich in den Status einer Milchkuh.
Zieht mich an manchen Tagen ganz schön runter, diese Erkenntnis. Dann könnte ich stundenlang heulen und mich vor der ganzen Welt verstecken. Wenn Paul und Jacob nicht wären mit ihrer Engelsgeduld, Finchen hätte es nicht leicht mit mir.

Als sie eine halbe Stunde später satt ist und fast eingeschlafen, kuscheln wir uns wieder in die Kissen. Auch so eine Sache, über die wir ewig diskutiert haben. Darf das Baby mit in unser Bett? Viele Ratgeber sagen ’nein‘. Mein Bauch hat sich für ‚ja‘ entschieden. Die beiden Papas musste ich nicht lange überreden. Die fanden den neuen Untermieter im Schlafzimmer eigentlich nur gewöhnungsbedürftig, meine Argumentation aber absolut nachvollziehbar. So schläft Finchen zwar tagsüber in ihrer Wiege. Aber sobald sich einer von uns mit hinlegt, wechselt sie ins große Bett. Wir lieben es alle drei, ihr beim Einschlafen zuzusehen, uns davon anstecken zu lassen und schließlich selbst wegzudämmern.

Ich glaube, diese intensive Nähe tut ihr gut. Ganz grundsätzlich. Ob sie nun schläft oder wach ist. Deshalb tragen die Männer sie auch ständig mit sich herum. Mal mit, mal ohne Tuch. Sie sagen immer, es sei eine Art Ausgleich für die Zeit, die sie ausschließlich mit mir verbringt. Damit sie zu ihnen eine ähnliche Beziehung aufbauen kann wie zu mir. Über diese Hoffnung könnte ich, wenn ich wollte, milde lächeln. Eine stillende Mutter ist für so ein Neugeborenes nun mal der wichtigste Mensch auf Erden. Aber wer sagt mir, dass der Vater nicht genauso wichtig ist? Wäre doch ganz schön anmaßend, wenn ich die Vater-Kind-Beziehung kleinreden würde.
Vater-Kind-Beziehung. Ich verziehe den Mund. Unser größtes Problem. Monatelang waren wir uns einig darin, vorläufig keinen Vaterschaftstest zu machen. Aber neuerdings will Jacob doch einen. Ehrlich gesagt weiß ich noch nicht, was ich davon halten soll. Vor allem nicht, was ich mache, wenn seine Forderung nachdrücklicher wird. Bisher bin ich jeder längeren Diskussion darüber aus dem Weg gegangen. Aber ich spüre, dass der Moment der Entscheidung näher rückt.

Warum ich Angst davor habe? Weil ich überhaupt nicht einschätzen kann, was passiert, wenn das Ergebnis feststeht. Es ist klar, dass nur einer von beiden Sophies Vater sein kann. Unter uns gesagt, vermute ich, es ist Paul. Aber ebenso klar ist meiner Meinung nach, dass der, der es nicht ist, tief enttäuscht sein wird. Sich vielleicht sogar von uns abwendet. Und genau dieses Szenario macht mir eine Heidenangst …

Ob Louisas Angst berechtigt ist, erfahrt ihr am Veröffentlichungstag des Romans – am 31.10. auf amazon.

 

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