Die Schneemänner sind zurück …

 

Worauf viele Leser gehofft haben, steht seit dem Sommer fest: Ende Oktober erscheint die nunmehr 4. Staffel des Romans „Die Schneemänner“.

In einer Umfrage wollte ich wissen, ob ihr denn auch Lust darauf habt, die ersten Kapitel vorab zu lesen. Eine überwältigende Mehrheit entschied sich dafür. Freut euch also! Ab heute gibt’s regelmäßig eine Portion „Paul, Jacob und Louisa“ für euch :-)

„DIE SCHNEEMÄNNER“ – Teil 10, Kapitel 1

Die beiden Männer wechseln einen kurzen Blick, während einer von ihnen die weinende Frau in seine Arme zieht.
»Ich schau mal nach Finchen«, sagt der andere und verschwindet nach draußen.
Samstagabend. Drei Tage geht das nun schon so.

Louisas immer wiederkehrende Gefühlsausbrüche zerren an Pauls Nerven. Vom Verstand her weiß er, dass er ihnen nicht zu viel Bedeutung beimessen sollte. ‚Der Babyblues vergeht so schnell, wie er kommt‘, hat sein Freund Alex prophezeit. Und ein Gynäkologe muss es nun wirklich wissen. Allerdings haben sie früher damit gerechnet. Jetzt, acht Wochen nach der Entbindung, ist Paul verunsichert.
Beruhigend streichelt er Louisas Rücken. Gleichzeitig versucht er zu rekapitulieren, was den Tag über geschehen ist. Hat er etwas übersehen oder falsch eingeschätzt? Spürt sie Schmerzen? Hoffentlich keine Brustentzündung. Im Abstand von zwei Stunden zu stillen – kein Wunder, wenn sie wund wird. Oder hat er sich bei irgendeiner Gelegenheit als Elefant im Porzellanladen erwiesen? Was Blödes gesagt oder getan? Neuerdings ist sie sowieso ziemlich dünnhäutig. Wenn nur Finchen jetzt nicht wach wird. Louisa schläft zu wenig. Sie bräuchte dringend mehr Ruhe.
Paul hat den Gedanken noch gar nicht richtig zu Ende gebracht, da kehrt Jacob mit dem Baby im Arm zurück. Louisa hebt den Kopf. Die Tränen, die gerade versiegen wollen, fließen wieder heftiger.
»Na komm, meine Hübsche.« Er streicht ihr über das brünette Haar, das sie wie häufig in letzter Zeit offen trägt. Es ist lang geworden. »Du legst dich jetzt hin, lässt Finchen ein bisschen trinken und dann schlaft ihr beide. Wir kümmern uns um den Rest.« Ohne eine Antwort abzuwarten, hebt er sie vom Sofa hoch.

Louisa ist längst wieder so zierlich wie vor der Schwangerschaft. Keine zwei Wochen hat es gedauert, da war ihr Bauch wieder flach. Sie isst aber auch zu wenig. Oder es sind die ständigen Unterbrechungen durch Finchen. Sie hat immer dann Hunger, wenn die Großen beim Essen sitzen. So ein Baby kann aber auch wirklich alles durcheinander bringen.
Echte Sorgen aber macht Paul Louisas Antriebslosigkeit. Es gibt Zeiten, da kann sie nicht die kleinste Entscheidung treffen. Gestern beispielsweise ließ sie sich nur mit Mühe dazu bewegen, überhaupt aufzustehen. Wenn sie sich also nicht entscheidet, muss er das für sie tun. Entscheiden, reden, Nähe geben. Fast ein bisschen erschreckend, wie viel Zuwendung sie derzeit braucht. Was soll das nur werden, wenn er auch wieder arbeitet?

Die kleine Prozession erreicht das Schlafzimmer. Während Paul mit Louisa aufs Bett sinkt, ihr in die geeignete Position hilft und weiter beruhigend auf sie einredet, wiegt Jacob Sophie in seinen Armen und murmelt Koseworte.
Sie ist ganz still. Als lausche sie auf die Stimmen ihrer Eltern. Paul weiß, dass Jacob alles im Griff hat. Aber wenn die Kleine nicht in den nächsten fünf Minuten an Mamas Brust darf, wird sie ungemütlich.
Sein Blick geht zum Wickeltisch. Okay, Windeln hat Jacob auch schon gewechselt. Dann wird Finchen mit ziemlicher Sicherheit beim Stillen wieder einschlafen. Wie immer. Es sei denn, sie spürt, dass ihre Mutter gerade wieder vollkommen neben sich steht. Unruhige Mama, unruhiges Kind. Ein elender Kreislauf, dem Paul sich in Momenten wie diesen hilflos ausgeliefert fühlt. Aber er muss Stärke zeigen. Gerade, wenn Louisa die Kraft dafür fehlt.
Er beginnt erneut, ihr gut zuzureden. Wenig später Aufatmen.
Das Baby liegt leise schmatzend an Louisas Brust. Jacob hockt, in diesen Anblick versunken, vor dem Bett. Und Paul rollt sich erleichtert auf den Rücken. Er breitet die Arme weit aus, starrt gegen die Decke. Wie um Himmels Willen machen das andere Eltern? Überstehen die solche Phasen tatsächlich ohne diese ewigen Kämpfe? Wie finden die Zeit füreinander?

Seit zwei Wochen ist er zu Hause und jeden Abend erleichtert, wenn Jacob aus der Praxis kommt. Wie lange vor der Geburt ihrer Tochter besprochen, teilen sie sich die väterliche Elternzeit. Die ersten Wochen hat Jacob übernommen. Jetzt ist er dran. Louisa soll Kraft schöpfen für die Monate, die sie später ohne ihre beiden Männer absolvieren muss. Hoffentlich schafft sie das. Momentan wagt Paul nicht mal eine mittelfristige Prognose.
Dabei wirkte bis vor Kurzem alles normal. Wenn man mal davon absieht, dass sie seit Sophies Geburt alle drei zu wenig Schlaf bekommen. Natürlich bringt ein Baby Unruhe in die Welt der Großen. Doch zwischen dem, was andere Eltern erzählen, und der Realität liegen Welten. Inzwischen haben sie begriffen, dass man all die Ratgeber und selbst ernannten Babyspezialisten komplett vergessen kann. Erst recht die gefühlt tausend Bücher über ‚Babys erstes Jahr‘. Kein Kind ist wie das andere. Ihres beispielsweise schläft viel. Dafür hat es alle zwei Stunden Hunger und muss gestillt werden. Und wo bitte steht das? Natürlich nirgends.
Manchmal wird Louisa gar nicht richtig wach, wenn Paul ihr die Kleine an die Brust legt. Er fragt sich mittlerweile, ob es wirklich eine gute Idee ist, sie zu einer langen Stillphase zu motivieren. Ihre Kräfte sind ja jetzt schon überstrapaziert. Doch was Besseres als Muttermilch gibt es nun mal nicht. Darin sind sie sich alle drei einig. Übersetzt heißt das: Louisa wird dranbleiben. Solange wie möglich. Den Männern bleibt nur übrig, dafür zu sorgen, dass sie sich vernünftig ernährt und sich möglichst wenig Gedanken um andere Dinge macht. Allerdings ist das nur bedingt möglich. Wegen ihrer Arbeit ist sie momentan ziemlich unruhig. Sie will wieder mit dem Schreiben loslegen. Und ist frustriert, weil ihr die ständige Müdigkeit den letzten Nerv raubt.

»Lass uns noch ein Bier trinken«, flüstert Jacob in Pauls Gedanken hinein, während er ihm die Decke wegzieht und sie um Louisa und das Baby drapiert.
Paul stützt sich auf. »Schlafen sie?«
Jacob nickt.
Auf Zehenspitzen schleichen die beiden hinaus.

* * *

In der Küche aktivieren sie das Babyphone und lauschen sekundenlang auf die Geräusche aus Louisas Schlafzimmer. Dann holt Jacob zwei Büchsen Bier aus dem Kühlschrank. Eine davon wirft er Paul zu, der es sich auf dem Sofa bequem gemacht hat.
»Hoffentlich geht das gut«, meint er, während er sich seufzend auf den Sessel gegenüber fallen lässt.
Paul öffnet die Büchse und beobachtet den daraus aufsteigenden Biernebel. »Meinst du, es ist was anderes als dieser viel beschworene Babyblues?«
»Ich hoffe nicht. Aber es wäre gut, neue Blutwerte zu haben. Nicht, dass wir was übersehen.«
»Schilddrüse?«
Jacob zuckt mit den Schultern. »Kommt nach Geburten zumindest häufiger vor.«
»Jetzt mal nicht den Teufel an die Wand! Ich würde sagen, wir warten noch ein paar Tage. Dann sollte es besser werden.«
»Sprich doch mal mit Alex.«
»Mach ich. Aber der wird dasselbe sagen.«
Wortlos schauen sie einander an und nippen an ihren Dosen.
»Ich will meine Frau zurück«, sagt Jacob schließlich leise, während er zur Tür schielt, als fürchte er, Louisa könne unerwartet auftauchen.
»Hey, Jack, werd nicht sentimental«, gibt Paul ebenso leise zurück.
»Ist doch wahr. Schau dir an, wie erschöpft sie ist. Das soll normal sein?«
»Klar ist es das. Sie hat ein Baby bekommen. Sie darf erschöpft sein. Überleg mal, was da im Körper abgeht. Außerdem schläft sie zu wenig.«
»Meinst du, sie gewöhnt sich dran?«
»An wenig Schlaf?« Paul zuckt mit den Schultern. »Hast du dich dran gewöhnt? … Na, siehst du. Ich mich auch noch nicht. Und ich hab keine Ahnung, woher so eine halbe Portion wie sie überhaupt die Kraft dafür nehmen soll. Aber sie wird. Alle Mütter tun das.«
»Und wenn nicht?«
»Pessimist!«
»Ich mach mir Sorgen.«
»Ich mir auch, Mann. Aber das hilft nichts. Wenn sie unsere Unsicherheit spürt, zieht es sie nur noch mehr runter.« Paul setzt die Büchse an und trinkt sie in einem Zug leer. »Ich hätte Eric fragen sollen, als er hier war. Als Psychologe kennt er sich besser aus. Statt dessen haben wir uns über Mobbing unterhalten.« Ärgerlich über die verpasste Gelegenheit schnalzt er mit der Zunge.
»Ich finde, wir sind selbst Psychologen genug.« Auch Jacob trinkt sein Bier zu Ende. Dann zerdrückt er das dünne Metall. »Was hältst du eigentlich von ihm?«
»Von Eric? Der ist okay.«
»Und dich stört nicht, dass er und Louisa so eng befreundet sind?«
»Nein. Mich nicht.« Paul feixt. »Aber dich. Hast ihn nicht eine Sekunde aus den Augen gelassen.« Sein Grinsen wird breiter. »Und Finchen vor ihm behütet, als würde er ihr was antun wollen.«
»Ich werde doch meine Tochter nicht einem Wildfremden in die Arme drücken.«
»Na komm. So verkehrt kann er nicht sein, wenn Louisa ihm vertraut.«
»Meinst du, sie hatten was miteinander?«
Paul zuckt mit den Schultern. »Offenbarst du ihr jedes Detail aus der Vergangenheit?«
»Dass ich mit Theresa eine Affäre hatte, hab ich erzählt.«
»Schon okay. Bist eben vorbildlich«, spottet Paul gutmütig. »Apropos Theresa – hast du gehört, wie’s ihr geht?«
»Nee, schon länger nicht. Ehrlich gesagt hab ich auch gerade keinen Kopf dafür.«
»Stress?«

Paul betrachtet den Freund. Seit Finchens Geburt gibt es für Jacob nichts Wichtigeres als die Familie. Wenn er könnte, wär er wohl noch länger zu Hause geblieben als die paar Wochen. Das ist umso erstaunlicher, als dass sie beide echte Workaholics waren, bis sie Louisa trafen. Da kann man mal sehen, was die richtige Frau bewegen kann.
Jacob jedenfalls fährt zu keiner Fortbildung mehr und zu keinem Kongress. Er drückt sich vor allem, was ihn davon abhalten könnte, rechtzeitig daheim zu sein. Sogar ihre Männerabende, bei denen sie sich ganz gern mal bis in die Nacht irgendwo draußen herumgetrieben haben, verbringen sie jetzt im eigenen Wohnzimmer. Immer auf dem Sprung, sollte mit den Mädels irgendwas sein.
Paul macht sich Gedanken darüber. Auch weil er fürchtet, das Ergebnis des Vaterschaftstests könnte dem Freund einen herben Tiefschlag verpassen. Aber machen werden sie ihn. Jacob selbst drängt drauf. Dummerweise kann natürlich nur einer von ihnen der Vater sein. Da ist Stress sozusagen vorprogrammiert.

»Ich hab ’ne Menge aufzuholen«, gesteht Jacob jetzt. »Außerdem fällt ständig jemand aus. Gefühlt ist die halbe Praxis krank.«
Paul nickt. »Machst auch den Eindruck, als wärst du bisschen angeschlagen. Du musst aufpassen, Jack. Nicht, dass sich die Mädels anstecken.«
»Ich pass auf. Aber wenn’s passiert, passiert’s.«
»Ingwer.« Paul greift sich plötzlich an den Kopf, als hätte ihm das längst einfallen müssen. Dann springt er auf, geht in die Küche und füllt den Wasserkocher. »Ich mach dir einen Ingwertee.«
»Pfui Teufel, lass mich mit dem Scheiß in Ruhe!«
»Keine Widerrede. Den trinkst du. Und morgen gibt’s ein Ingwersüppchen.« Er grinst süffisant. »Einer muss schließlich die Kohle nach Hause bringen. Ich werde nicht zulassen, dass du dich drückst.«
Jacob stöhnt scheinbar genervt und gesellt sich zu ihm. Mit vor der Brust verschränkten Armen lehnt er gegen den freistehenden Küchenblock.
»Und du? So ganz ohne Job für Kerle?«
»Lass das nicht Louisa hören!« Paul schlägt ihm lachend gegen die Schulter. Dann wendet er sich wieder seiner Arbeit zu. »Johannes macht das schon.«
»Der Mann ist echt gut. Hoffentlich sind wir mit Anfang sechzig auch noch so cool drauf.«
Während Paul den Ingwer reibt, schmunzelt er vor sich hin. »Wenn wir das hier regelmäßig durchziehen …«
»Kneifen ist nicht, mein Lieber.« Jacks Gesicht verzieht sich zu einem Grinsen. »Mindestens ein zweites Mal.«
»Und Louisa? … Ich muss ständig dran denken, wie sie schon zu Beginn der Wehen gedroht hat ‚Nie wieder vögeln!’« Er wirft Jacob einen nachdenklichen Blick zu. »Neulich klang sie nicht so, als würde sie gleich wieder schwanger werden wollen.«
»Im Moment ändert sie ihre Meinung im Minutentakt. Geb ich erst mal nichts drauf.«
»Ich schon.« Er lässt die Hände sinken. »Sie spricht davon, wieder schreiben zu wollen.«
»Im Ernst?« Jacob runzelt die Stirn. »Wie will sie denn das anstellen?«
»Abends.«
»Wenn sie vor Müdigkeit kaum noch gucken kann?«
Paul zuckt mit den Schultern. »Jedenfalls macht sie sich Hoffnungen.«
»Oh Mann.« Stöhnend dreht sich Jacob um die eigene Achse, stützt sich mit beiden Armen am Küchenblock ab und starrt kopfschüttelnd in den dämmrigen Raum. »Ich würde gerade am liebsten hinschmeißen und sie reißt sich drum.«
»Eben freaky, unser Louischen.«
»Und was, wenn sie kein zweites Kind mehr will?« Jacob fährt herum. »Lass uns den Test machen, Paul. Ich will es endlich wissen!«

Paul mustert seinen besten Freund. Den Mann, mit dem er sich seit anderthalben Jahren eine Frau teilt. Der sich für so eine verrückte Idee ebenso hatte begeistern können wie er selbst. Und zum wiederholten Male wundert er sich über die Entschlossenheit, die sich immer dann in dessen Gesicht abzeichnet, wenn sie auf dieses Thema kommen.
Dabei ahnen sie beide, dass Jacob nicht Finchens Vater ist. Er ist eher der südländische Typ. Keiner von ihnen hat es ausgesprochen. Aber Finchens Gesichtszüge und das stetig heller werdende Haar legen die Vermutung nahe, dass Paul ihr Erzeuger ist. Folglich wäre es logischer, wenn Jacob den Test hinauszögern würde. Aber so ist er. Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende. Der Wahrheitsfanatiker.
Letztes Jahr in Irland hätten sie fast gestritten, weil er darauf bestand, Louisa in den Plan für den D-Day einzuweihen. Nicht, weil er kein Geheimnis für sich behalten kann. Nein. Er hatte einfach ein schlechtes Gewissen wegen der kleinen Schwindelei.
Mit ernster Miene legt Paul seinem Freund jetzt die Hand auf die Schulter. »Wir tun es, wenn Louisa einverstanden ist.«

Aus „Die Schneemänner“, 4. Staffel, demnächst als eBook und TB. Wer die Schneemänner-Reihe noch nicht kennt – hier geht’s zu den Staffeln 1 – 3 auf amazon ;-)

Die Fortsetzung erscheint am Sonntag, 14.10., hier auf dem Blog.

 

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