Bondage-Roman? Da muss ich wohl selbst in die Seile …

B-Shooting20152

Visage_deux beim Bondage mit Jenny

Ich bin aufgekratzt. Die letzten Tage stecken mir in den Knochen. Viel Action, wenig Schlaf. Schon deshalb nicht, weil ich die ganze Zeit über wusste, dass mir mein allererstes Bondage bevorsteht. Heute. Genau in diesem Moment. Kein Ausweichen mehr. Ich muss da jetzt rein.

In der Tür zum Studio steht Visage_deux und beobachtet mich. Das tut er schon eine ganze Weile. Jetzt schüttelt er den Kopf, weil ich noch immer in meiner Tasche krame. Wo hat sich nur diese blöde Bürste versteckt?
„Du schindest Zeit.“ Seine Stimme klingt amüsiert.
„Haare offen oder zusammen?“, will ich wissen.
Sein Gesicht nimmt einen ungläubigen Ausdruck an. „Lass es, wie es ist. Na los!“
Der Mann hat Humor. Sein Auftreten ist martialisch. Schwarzes Shirt, schwarze Hose im Gothic-Style, mit breiten silbernen Reißverschlüssen. Die Schuhe sind der Hammer. Schnürstiefel mit Stahlkappen? Das wäre zu einfach. Nein. In der Szene trägt man New Rock’s. Er steht auf der obersten Stufe zum Studio, breitbeinig, die Arme vor der Brust verschränkt. Wäre er mein Dom, würde ich wohl spätestens jetzt zum Angsthasen mutieren.
Das macht er absichtlich. Freut sich diebisch, dass er mich verunsichert. Wie sollte er auch nicht? Er wird mich gleich fesseln. Und ich hab keine Ahnung, was genau passiert …

Meine Gefühle fahren Achterbahn. Gestern war noch alles in Ordnung. Da hab ich nur zugeschaut. Heute bin ich die Hauptperson. Aber auf keinen Fall will ich wie Jenny hängen. Das ist mir nicht geheuer. Mein Gott – was hab ich mir nur dabei gedacht?
Entschlossen nehme ich die Stufen zum Studio, trete an ihm vorbei. Er schließt die Tür. Cut. Als wäre ein Hebel umgelegt. Ohne, dass sich auch nur der kleinste Widerspruch in mir regt, lasse ich mich unter den Bondage-Ring führen, lasse mich drehen, stehe mit dem Rücken zu ihm. Und nun?
„Setz dich auf den Boden.“
Er muss es wiederholen. Ich habe nichts gehört. Setzen. Ganz einfach. Setzen und stillhalten. Die Musik von Schiller in den Ohren. Es ist warm. Ich schließe die Augen. Entspannt? Ja, in diesem Moment bin ich tatsächlich entspannt.

Sekunden später sitze ich mit auf dem Rücken gefesselten Händen da. Ein Seil wird unter meiner Brust entlang geführt. Dann die erste Positionsänderung. Visage_deux legt mich auf die Seite. Fixiert meine Fußknöchel, dreht mich weiter. Der Boden sieht schön aus, aber er ist hart. Irgendetwas an den Knöcheln drückt. Drückt heftig. Ich sage es ihm. Er korrigiert das Seil solange, bis es für mich passt. Dann knüpft er weiter. Schließlich liege ich auf dem Bauch. Die Beine angewinkelt, Hände und Füße aneinander gefesselt. Es ist nicht bequem, aber es ist okay. Über mir an der Decke Bewegung. Das Rattern des Seilzuges. Irgendetwas bewegt sich auf den Schienen. Als Zuschauer gestern hat sich mir jeder Handgriff erschlossen. Heute versuche ich vergeblich, die Geräusche zu interpretieren. Ich komm nicht drauf, was passiert.
„Nicht hinhängen“, ist das einzige, was mir einfällt. Nicht hinhängen. Ich will nicht hängen. Warum hab ich davor eigentlich so viel Angst?
Irgendwo klirren Ketten. So rhythmisch wie ein Windspiel. Nein. Ein Windspiel klingt nicht rhythmisch. Aber es hört sich ebenso hell an. Ebenso beruhigend. Beruhigend klirrende Ketten. Ich muss verrückt sein.
Schritte gesellen sich dazu. Schwere Schritte. Diese New Rock’s sind eine Katastrophe für den tollen Dielenboden. Hinter den geschlossenen Lidern nehme ich das Blitzen der Kamera wahr. Das erste Foto also. Wie ich wohl aussehe?bondage-Shooting3-blog
Visage_deux hockt sich zu mir und verbindet mir die Augen. Ich könnte unter der Binde hervorblinzeln. Aber egal. Es macht mir überhaupt nichts aus, dass er mir einen meiner Sinne raubt. Die Musik ist leiser jetzt. Die Seile auf meinem Rücken lockern sich. Also nicht hängen. Will ich ja auch nicht.

Dann liege ich auf dem Rücken. Wieder ohne Augenbinde. Interessiert beobachte ich, wie sich die Seile um meine Hüften winden, um meine Beine, um Brustkorb und Schultern. Ich schaue hoch zum Bondagering.
„Du hängst mich nicht da hin, okay?“
Visage_deux lächelt. „Wo ist das Problem?“
„Ich glaub, ich mag das nicht.“
Ich mag das nicht? Ich hab Schiss davor. Und keine Ahnung, warum.
Er zieht die Seile durch den Ring, strafft sie. Meine Mitte wird dabei angehoben. Probehalber. Es tut weh. An den Hüften, am Brustkorb. Ich würde es gern angenehm finden, aber es tut einfach nur weh.
Er spricht mit mir, fragt, wo was drückt, lindert, indem er Seil nachlässt oder neu bindet. Aber gegen meine innere Abwehr kommt er nicht an.
„Geht nicht?“, fragt er.
Ich schüttel den Kopf. Nein, geht nicht.
„Sind die Beine unproblematischer?“
Keine Ahnung. Vielleicht.

Visage_deux löst ein paar der Seile. Meine Hände sind noch immer gefesselt und liegen hinter meinem Kopf. Ein unangenehmes Gefühl in den Schultern. Aber ich kann doch nicht schon wieder rumjammern. Ich beschließe, es auszuhalten. Ein paar Minuten später bemerke ich verwundert, dass das Ziehen aufgehört hat. Gewöhnungseffekt? Entspannt? Nicht wirklich. Entspannt bin ich schon lange nicht mehr.
Unter- und Oberschenkel meines linken Beines sind inzwischen aneinander gebunden. Visage_deux befestigt das Seil an einer Kette. Nachdem er das rechte Bein auf dieselbe Weise fixiert hat, beginnt er, mich hochzuziehen. An den Beinen. Wie gestern Jenny. Er zieht, bis ich nur noch meine Schultern den Boden berühren. Der Zug auf dem linken Bein ist heftiger als auf dem rechten. Ich hab es kaum angedeutet, da gleicht er bereits aus. Es wird leichter. Aber ich will noch immer nicht hängen. Der ungewohnte Schmerz in den Schenkeln – ich bin nicht bereit, ihn zu ertragen. Überhaupt nicht vorstellbar, was daran Lust erregen soll. Warum schläft Jenny in den Seilen? Was mag sie daran?
Ich bin erleichtert, als Visage_deux mich wieder auf den Boden hinunter lässt. Ohne Druck, ohne Zug liegen – wunderschön. Gleichzeitig spüre ich die Enttäuschung. Da hab ich mich monatelang auf dieses erste Bondage gefreut und dann das. Ich kann weder mit dem Schmerz umgehen, noch bin ich bereit, meine Grenzen auszuloten. Grenzen. Ist die Angst vor dem Schmerz eine Grenze, die ich überschreiten kann?

Wieder die schweren Stiefel, wie sie um mich herumgehen. Das Piepsen des Auslösers der Kamera. Kurze helle Blitze.
Dann hockt Visage_deux neben mir, nimmt mir die Augenbinde ab. „Du denkst zu viel.“ Während er die Seile ordentlich zusammenlegt, beobachtet er mich. „Es gibt viele Wege nach vorn“, meint er lapidar.
Ich nicke ergeben. Okay. Ich hab es versucht. Es ist nicht meins. Vielleicht brauche ich einfach einen längeren Anlauf.
„Wir versuchen es einfach nächstes Mal wieder“, sage ich und lächle unsicher. Vielleicht will ich das gar nicht mehr?

Bondage-Shooting1
Visage_deux rollt die Seile weiter auf. „Wir machen jetzt noch ein klassisches Bondage im Stehen.“
Was???? Noch eines?
Aber ich habe gar keine Zeit, darüber nachzudenken. Er hilft mir auf die Beine, rettet uns beide vor dem Fall, als ich mit einem Hacken wegrutsche, und stellt mich vor sich hin. Dann legt er mir erneut die Augenbinde um, fester jetzt, und lässt mich warten. Schritte im Raum. Er verharrt vor mir. Ich höre, wie er das Seil durch seine Hände zieht.
„Das wird jetzt straffer“, sagt er …

Teil 2 des Berichts über den Bondage-Selbstversuch von Nora Amelie lest ihr hier. Und außerdem gibt’s jetzt brandneu einen Roman darüber – BONDAGESTORY. Als eBook und Taschenbuch auf amazon.