Romanrecherche unter Körpereinsatz
Woher nimmt ein Autor eigentlich das Hintergrundwissen für seine Geschichten? Wer liefert ihm Fakten und Settings? Reicht das stets allgegenwärtige Internet für die Recherche? Weil dort wirklich alles zu finden ist, was so ein Autorenherz begehrt? Lange Vornamenlisten für potentielle Protagonisten ebenso wie Livebilder von der Gegend, in der die Geschichte spielt? Rein theoretisch müsste der Autor heutzutage doch keinen Fuß mehr vor die Tür setzen …
Theoretisch. Aber wie heißt es so schön? Probieren geht über studieren. Und deshalb kann man noch so geschickt bei der Internetrecherche vorgehen – persönliche Erfahrungen ersetzt das nicht.
Das war mein dritter Gedanke, als ich auf die Idee kam, einen Roman über Bondage zu schreiben. Über Menschen, die fesseln, und solche, die sich fesseln lassen, und über all das, was mir erwähnenswert erscheint über diese Spielart des BDSM.
Nachdem Gedanke Nummer eins – Bondagevideos im Internet schauen – erschöpft war, Gedanke Nummer zwei – in ein Bondagestudio gehen und die reale Aktion beobachten – schon deutlich mehr Erkenntnisse lieferte, eroberte Gedanke Nummer drei all meine Synapsen – selbst ausprobieren.
Familie und Freunde waren entsetzt. Trotzdem ließ ich mich nicht aufhalten. Ich wollte mindestens wissen, wie sich ein Seil auf der Haut anfühlt und warum manche Bunnys wegdriften, wenn sie in einem Bondage quasi gefangen sind.
Natürlich sind es auch persönliche Präferenzen, die darüber entscheiden, ob man sich für diese konkrete Form der Recherche begeistern kann. Aber ehrlich? Warum nicht? Wenn man Liebesromane mit erotischem Flair schreibt, schadet es nicht, über Erfahrungen zu verfügen, die vielleicht nicht ganz üblich sind. Zumindest, solange man sich dazu in der Lage fühlt, nicht ganz übliche Erfahrungen zu machen.
Jetzt, nach Fertigstellung der BONDAGESTORY und nach den ersten Feedbacks, weiß ich: Ich habe mich richtig entschieden. Der persönliche Körpereinsatz war in diesem Fall hilfreich für eine gute Geschichte. Kennengelernt habe ich zwar nur wenige Facetten der Kunst des Fesselns. Dennoch haben sie mir zu einem besseren Verständnis für den aktiven und besonders für den passiven Beteiligten verholfen. Über das Gefühl im Seil kann ich jetzt aus eigener Erfahrung berichten. Mein Einfühlungsvermögen für den Gefesselten ist um ein Vielfaches gestiegen, weil ich selbst gefesselt war. Und all die Gedanken, die Ängste und Vorbehalte, die einen vor dem allerersten Bondage befallen – ich habe sie selbst durchlebt.
Fazit: Höhere Authentizität beim Schreiben und eine Geschichte, die sich – zumindest sagen das die Rezensenten – für den Leser „echt“ anfühlt.
Hätte ich das auch ohne Körpereinsatz geschafft? In diesem Fall und in dieser Form vielleicht kaum. Obwohl ich mich mehr als ein halbes Jahr auf das Schreiben des Romans vorbereitet und viel über Bondage gelesen habe. Obwohl ich immer wieder mit den realen Aktiven sprach, die letztlich zum Vorbild für zwei meiner Romanfiguren wurden – Visage_deux und Verspera.
Ob ich allerdings jemals geglaubt hätte, dass man ein Seil hören kann, nämlich dann, wenn der Rigger es durch seine Hände gleiten lässt? Und ob ich jemals verstanden hätte, woher die Liebe vieler Bunnys zu den Ropemarks rührt, zu den Seilspuren auf der Haut? Ich denke, das hätte ich in meiner Geschichte nicht wirklich überzeugend vermitteln können, wenn ich es nicht selbst erlebt hätte.
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